… mit ziemlich viel Gefühl

Wie kann eine Entwicklungsbegleitung aussehen, die uns und unseren Kindern entspricht und die allen gut tut?

Die Entwicklung eines Kindes begleiten zu dürfen ist eine wundervolle und verantwortungsvolle Aufgabe. Von Herzen gerne erlebe ich Alltage und besondere Tage mit den Kindern und es macht mir viel Freude ihre Entwicklung zu sehen und mit ihnen gemeinsam unterwegs zu sein. Oft genug finde ich die wundervolle Aufgabe aber auch wirklich anstrengend. Vor allem in Momenten, in denen ich selbst schon müde oder hungrig bin und die Gefühlsstürme der Kinder über mich hinein brechen. Wie macht man das gut, Kinder und ihre Gefühle, Kinder und ihre Bedürfnisse wahr und ernst zu nehmen und dabei nicht selbst auf der Strecke zu bleiben? Mit dieser Frage habe ich mich schon viel beschäftigt. In meinem Studium der Sozialen Arbeit, in meinen beruflichen Stationen, in meinem privaten Umfeld und nicht zuletzt im Lesen vieler guter Bücher zu diesen Themen. So habe ich mir über die Jahre eine Haltung angeeignet, in die ich in diesem Beitrag einen Einblick geben möchte und die in vielen weiteren Artikeln und Beiträgen auftauchen wird und diesen Blog und meine Arbeit im Schreiben und Beraten prägt.

Im Kern geht es darum, die Gefühlsstürme der Kinder auszuhalten und gut zu begleiten. Dabei zu bleiben. Frust, Ärger, Wut, Trauer, Ekel und auch unbändige Freude mitzuerleben. Oft ist der erste Schritt herauszufinden um was es dem Kind eigentlich geht und welches Gefühl hinter dem lauten Schreien steht. Wenn wir verstanden haben, wo das Kind gerade steht, ist es gut für das Kind, wenn wir seine Gefühle benennen, denn so fühlt sie sich verstanden und gehalten. Es lernt so, seine eigenen Gefühle zu registrieren, nach und nach zu verstehen und einzuordnen. Es lernt zu Mentalisieren. Das bedeutet, es entwickelt ein mentales Konzept, das ihm ermöglicht, sich über die eigenen Gedanken und Gefühle bewusst zu werden und auch die von anderen Menschen wahrnehmen und einordnen zu können. Folgende Situation kennen so oder so ähnlich wahrscheinlich viele Eltern:

Der 3-Jährige möchte Frühstücken. Noch etwas zerknautscht von der Nacht, müde und vor allem hungrig braucht er seinen ganz gewohnten Ablauf. Sein Schälchen, seinen Löffel, das immer gleiche Müsli, die gleiche Milchpackung. Und jetzt ist der Löffel noch schmutzig von gestern. Er schreit, tobt, wütet, liegt auf dem Küchenfußboden. Alles Reden prallt an ihm ab. Erstmal muss die Wut raus. Sie will gesehen und ernst genommen werden. Auch wenn es “nur” um einen schmutzigen Löffel geht. Ich sage: „Oh, du bist aber ganz schön wütend, dass dein Löffel nicht sauber ist.“ Ich habe allerdings weder Lust noch Zeit jetzt den Löffel zu spülen und bin schon reichlich genervt. Kurzer Hand ziehe ich einen Stuhl ans Waschbecken, lasse etwas lauwarmes Wasser ein, lege den schmutzigen Löffel hinein und sage dem 3 Jährigen, der mich inzwischen interessiert beobachtet, dass er seinen Löffel ja einfach spülen kann, wenn er ihn so dringend braucht. Wortlos steht er auf und beginnt mit dem Löffel im Wasser zu planschen. „Mama ich brauche ein Handtuch.“ Das Frühstück verläuft ohne weitere Zwischenfälle.

Was ist hier passiert? Ich konnte das Gefühl des Jungen in der Situation verstehen und für ihn benennen. So fühlte er sich erst einmal verstanden in seiner Wut. Er beruhigte sich langsam und konnte wieder beobachten, was ich tue. Im nächsten Schritt war dann SELBSTWIRKSAMKEIT die Lösung. Hätte ich den Löffel für ihn gespült, wäre als nächstes vielleicht das Müslischälchen zum Problem geworden. In dem das Kind seinen Löffel selbst spült, wird es handlungsfähig und kann die Situation so mitgestalten, wie es für dieses Kind gerade wichtig ist. So fühlt es sich ernst genommen und verstanden. Kinder sind stark. Kinder zeigen ihre Bedürfnisse, wenn sie einen Raum dafür haben und Kinder möchten gerne mit uns zusammen arbeiten. Sie kooperieren viel öfter, als wir denken und mitbekommen.

Und wem jetzt der Gedanke durch den Kopf geht: niemals habe ich morgens die Zeit, zu warten bis mein Kind seinen Löffel gespült hat, dem sei gesagt, dass ich diesen Gedanken kenne und sehr gut verstehe. Meine Erfahrung ist aber, dass der Machtkampf, der folgen würde, wenn ich den Löffel nicht sauber herausrücke, sehr viel mehr Zeit und Nerven kostet. Auch wenn ich den dringenden Wunsch direkt erfülle, ist uns nicht immer geholfen, denn meist taucht Sekunden später der nächste auf und mein genervt-Pegel steigt mit jedem Wunsch. Dem Kind geht es nicht um den Löffel, sondern darum, ICH zu sein, gesehen zu sein, selbst entscheiden und mitbestimmen zu können.

Wenn wir unsere Kinder „bedürfnisorientiert“ erziehen, werden sie ihre Bedürfnisse zeigen. Lautstark und sehr deutlich. Dessen sollten wir uns bewusst sein. Und es wird in unseren Familien dann nicht nur harmonisch oder friedlich zugehen, sondern echt, lebendig, liebevoll, chaotisch, auch mal laut und voller Respekt und Liebe füreinander. Die ganze Palette unserer Gefühle ist in Ordnung und gehört zum Familienleben dazu.