Erlaubnis zum Nasepopeln

Die Wellen, auf denen Corona uns reiten lässt, tragen uns in den dritten Lockdown. Habe ich richtig gerechnet? Ich bin nicht ganz sicher… Egal, es geht weiter. Immer weiter. Der Kindergarten geht in den Notbetreuungsmodus. Die Vierjährige ist zu Hause. Ab Montag. Das muss ich ihr noch nahebringen. Es wird sie nicht freuen, denn nach Lockdown Nummer zwei, hatte ich gerade den Eindruck, sie sei wieder richtig im Kindergarten angekommen und auch insgesamt wieder in ihrem Gleichgewicht. Aber Kopf hoch, es wird Frühling. Wir gehen raus. Auf den Spielplatz – so fern, der noch offen hat. Sonst in den Wald, aufs Fahrrad. Vielleicht mit einer Freundin. Sind Betreuungsgemeinschaften diesmal erlaubt??? Da muss ich mich mal noch belesen.

Aber das alles nur am Rande. Was mich heute Abend hauptsächlich beschäftigt ist der Zettel, der nach mehrmaligen Druckversuchen nun richtig herum und im richtigen Format neben mir liegt. „Erlaubnis zum Nasepopeln“ nenne ich ihn, denn anders als mit Humor, kann ich diese Neuerungen, unsere „Neue Normalität“ oder wie auch immer man das inzwischen nennt, nicht nehmen. Ab kommender Woche darf unsere große Tochter (nur mit unserem schriftlichen Einverständnis) jeden Montag und jeden Donnerstag unter Aufsicht der Lehrerin in der Nase popeln. „Nasebohren ist schön“ heißt ein bei unseren Kindern sehr beliebtes Buch von Daniela Kulot, in dem die Eltern den Kindern beibringen wollen, dass in der Nase popeln verboten ist und die Kinder dann herausfinden, dass die Großeltern es aber einfach tun. Also tun sie es auch. Unsere Kinder im Übrigen auch. Egal, was wir dazu sagen.

Nun soll ich also unterschreiben, dass ich damit einverstanden bin, dass unsere Sechsjährige in der schulischen Öffentlichkeit immer montags und donnerstags in der Nase popeln darf – nicht mit dem Finger natürlich, aber das Teststäbchen soll genau so weit in die Nase geschoben werden, wie der Finger beim Nasebohren – steht in der Elternmail. Beruhigend dieser Satz, denn man kann Teststäbchen auch noch um Einiges weiter schieben und das wünschen wir unseren Kindern nun wirklich nicht in jeder Woche zweimal. Also gut. Selbstverständlich werden mein Mann und ich auch diesen Zettel unterschreiben und unsere Tochter im Selbsttesten anleiten. Einen Erklärfilm von der Augsburger Puppenkiste soll es dazu geben. Den soll man sich aber erst einmal ohne Kind anschauen. Ich bin gespannt… und werde das tun, sobald ich diese Zeilen geschrieben habe. Es könnte ja auch ganz lustig werden, denke ich mir. Alle Kinder popeln angeleitet gemeinsam in der Nase. Bleibt nur zu hoffen, dass das entnommene Sekret nicht aus Versehen aus dem Teströhrchen hinausfließt oder der Tropfen nicht auf derTestkassette landet, sondern im Mäppchen. Es wird schon gut gehen. Und wenn der Test dann zwei Streifen hat? Mein Kind sich selbst positiv testet? Deutschlandweit zerbrechen Eltern sich in diesen Tagen ihre Köpfe darüber, was dann passiert, was in den Kinderköpfen vorgeht und ob das Kind sich schlecht fühlt, Angst hat, sich ausgegrenzt vorkommt? Wie bereiten wir es gut darauf vor? Dazu stehen in unserer Schulmail nun wirklich waise Worte, die ich hier zitieren möchte: „Wie ist das mit der Stigmatisierung? Es sind ja wir Erwachsene, die stigmatisieren. Vielleicht müssen wir unsere Sichtweise ändern und den Kindern erklären: Wenn ein Kind mit Corona infiziert ist, muss es eine Zeitlang zu Hause bleiben, um andere zu schützen und nicht alle anzustecken. Wie bei einer Magen-Darm-Grippe. Nicht mehr und nicht weniger. Bei einer Magen-Darm-Grippe fragt auch keiner, wie sich das Kind anstecken konnte. Da sagen wir auch, das kann jedem passieren.“

So ganz langsam bekomme ich eine leise Ahnung davon, was es heißen kann mit Corona leben zu lernen. Unser Alltag ist anders, er wird von einem Virus bestimmt. Aber wir sortieren uns immer wieder neu in die Gegebenheiten ein und auch wenn unsere Kinder nun Nasepopeln müssen – ob das dann immernoch Spaß macht? – DIE SCHULEN BLEIBEN OFFEN. Immerhin.

P.S.: Offiziell heißt der Zettel neben mir, der noch auf meine Unterschrift wartet, übrigens: „Einwilligungserklärung zur Durchführung von kostenfreien Antigen-Tests zur Eigenanwendung durch Laien zum Nachweis von SARS-CoV-2 in Schulen im Schuljahr 2020/2021“

P.P.S.: Die sechsjährigen Laien sind bald Profis in der Durchführung von Antigen-Tests zu Eigenanwendung 😊

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